Am 30. März 2010 veröffentlicht die Plattform WikiLeaks ein Video, welches um die Welt geht: Plötzlich werden den USA schwere Kriegsverbrechen vorgeworfen. Was folgt, stellt Journalismus und Informationsfreiheit auf eine harte Probe.

„Ich habe mich schließlich für Freiheit und gegen […] Gerechtigkeit entschieden. […] Ich bin heute nicht frei, weil das System funktioniert hat. Ich bin heute frei, nachdem ich jahrelang inhaftiert war, weil ich mich des Journalismus schuldig bekannt habe. […] Ich habe mich schuldig bekannt, die Öffentlichkeit […] informiert zu haben.“ Dies sind die ersten Worte Julian Assanges, welche nach seiner Freilassung an die Öffentlichkeit kommen. Nun ist er frei. Doch zu welchem Preis? Wo liegen die Grenzen von Journalismus und Meinungsfreiheit? Welche Fehler wurden gemacht? Den Versuch einer Erklärung gibt es in diesem Artikel.

„Ich habe mich schuldig bekannt, die Öffentlichkeit informiert zu haben.“

Julian Assange wurde 1971 in Australien geboren. Schon in seiner Studienzeit waren ihm seine politischen Ansichten wichtiger als seine Karriere. So brach er 2007 sein Studium an der University of Melbourne ab, nachdem laut Assange das Programm für angewandte Mathematik Mittel aus dem US-Verteidigungsministerium erhalten habe. Assange vermutete, das Geld würde in Wahrheit in die Weiterentwicklung des Grizzly Plow, einem militärischen Bulldozer, fließen, welcher im ersten Irakkrieg eingesetzt worden war. Dies wurde vom US-Verteidigungsministerium dementiert.

Doch bereits zuvor kam Assange mit dem Staat in Konflikt: 1991 führte die australische Polizei eine Razzia in seinem Melbourner Haus durch, woraufhin er in 24 Fällen des illegalen Hackens beschuldigt wurde und ein Bußgeld sowie eine Bewährungsstrafe erhielt.

2006 gründete Assange dann nach eigenen Angaben WikiLeaks, jene Plattform, welche ein Jahrzehnt später durch die CIA als „nichtstaatlicher feindlicher Geheimdienst“ eingestuft würde. Dabei handelt es sich um eine Enthüllungsplattform, welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, durch Zensur oder anderweitig nicht öffentlich zugängliches Material, welches unethisches Verhalten von Regierungen aufzeigt, aufzuarbeiten und zu veröffentlichen. Mit Erfolg: Im Herbst 2009 waren bereits über 1,2 Millionen Dokumente eingestellt, welche die Öffentlichkeit eigentlich nie hätte sehen sollen. Die Inhalte reichten damals von parteiinternen Argumentationsrichtlinien oder auch mal fragwürdigen Wahlkampfstrategien über die Spendenliste einer britischen Partei und Finanzskandale im EU-Parlament bis hin zu Handbüchern für US-Soldaten im Internierungslager Guantanamo.

Dann, 2010, erlangten die Veröffentlichungen ihren bisherigen Höhepunkt: Am 30. März 2010 veröffentlicht Assange von Island aus sein „Projekt B“: Jenes Video, welches US-Hubschrauber zeigt, die gezielt auf Journalisten schießen. Jenes Video, welches um die Welt ging.

Die Authentizität des Videos wurde anonym durch einen US-Offizier bestätigt. Das Militär konnte seine Kopie des Videos nicht auffinden. Im Folgenden wurden viele weitere geheime Dokumente über die US-Militäreinsätze im ersten Irakkrieg und dem Afghanistankrieg publik, welche teilweise weitere Kriegsverbrechen aufdeckten.

Die Reaktion in den USA war mehr als deutlich: Man forderte, Assange für den Verstoß gegen den Espionage Act, ein umstrittenes Gesetz zur Verhinderung von Spionage und des Eingriffes in Außenbeziehungen, zur Rechenschaft zu ziehen. Viele hochrangige Politiker und Fernsehmoderatoren forderten seine Hinrichtung oder Ermordung, teilweise zogen sie ihre Aussagen später zurück. Der Nachrichtenmoderator Bob Beckel des Senders Fox News sagte am 6. Dezember 2010 dazu: „Ein toter Mann kann keine Sachen veröffentlichen“. Es gäbe nur einen Weg, Assange zu beseitigen: Ihn illegal zu erschießen. Beckel war 1984 Wahlkampfleiter der Demokratischen Partei.

Aus Angst vor einer Abschaltung in den USA stellte eine schwedische Partei ab dem 19. August 2010 ihre Server für WikiLeaks zur Verfügung. Mitte 2011 soll die isländische Regierung einen Versuch von WikiLeaks blockiert haben, ein Datenzentrum nahe Reykjavík zu kaufen. Daraufhin beauftragte ein junger Mitarbeiter von WikiLeaks, Sigurdur Thordarson, angeblich die Hackergruppe „LulzSec“ damit, „in die isländische Regierungsinfrastruktur einzudringen“. WikiLeaks-Vertreter halten es für unwahrscheinlich, dass andere WikiLeaks-Mitarbeiter von diesem Auftrag wussten.

Assange reiste derweil von Island in das Vereinigte Königreich, wo er sich unter Kautionsauflagen und „erweitertem Hausarrest“, was das Tragen einer elektronischen Fußfessel beinhaltet, zunächst frei bewegen konnte. Grundlage dieser Maßnahmen war ein europäischer Haftbefehl aus dem Jahr 2010. Am 19. Juni 2012 floh er dann überraschend, entgegen seiner Vorschriften, in die ecuadorianische Botschaft in London, woraufhin ihm die britische Polizei mit der Festnahme drohte. Im August 2012 kündigte der ecuadorianische Außenminister Ricardo Patiño an, sein Land würde Assange politisches Asyl gewähren. Ausreisen konnte Assange allerdings nicht, da dies durch Großbritannien blockiert wurde. Das britische Außenministerium begründete dies damit, dass „das Land verpflichtet sei, Assange […] nach Schweden auszuliefern“. Dort war Assange wegen Sexualvergehen angeklagt worden. Dieser wiederum befürchtete, Schweden könnte ihn in die USA ausliefern. Dies wurde zwar zunächst aufgrund der drohenden Todesstrafe dementiert, nach Zusicherungen durch die USA jedoch nicht mehr ausgeschlossen. Zwischenzeitlich drohte das Königreich sogar damit, in die Botschaft einzudringen, da es das politische Asyl „nicht anerkenne“.

Unterdessen stritt Assange die schwedischen Vorwürfe weiterhin ab, immer wieder war die Rede von einem „Komplott“. 2012 lehnten die schwedischen Behörden mehrere Angebote, Assange in der Botschaft in London zu verhören, ab. Im Juni 2015 bot Schweden dies dann selbst an, was zunächst von Ecuador abgelehnt wurde. Daraufhin einigte man sich in Verhandlungen auf die Bedingungen einer Befragung. Am 14. November 2016 schließlich besuchte die schwedische Oberstaatsanwältin die ecuadorianische Botschaft in London. Da das Erscheinen Assanges vor einem schwedischen Gericht in absehbarer Zeit nicht wahrscheinlich schien, wurde das Verfahren eingestellt. Aufgrund des Verstoßes gegen die Auflagen aus 2011 konnte Assange die Botschaft jedoch weiterhin nicht verlassen.

Im März 2017 veröffentlichte WikiLeaks „Vault 7“: Eine Vielzahl an Dokumenten, welche Einblicke in die Machenschaften der amerikanischen CIA ermöglichten. Darunter waren auch Hackerwerkzeuge. Bezeichnet wurde Vault 7 durch die CIA als „größter Datenverlust in der Geschichte der CIA“. Die Sprache war von einem „digitalen Pearl Harbor“.

„Größter Datenverlust in der Geschichte der CIA“

Die Reaktion der USA unter Trump war unmissverständlich: Assange muss weg. Der neue CIA-Direktor Mike Pompeo bezeichnete WikiLeaks öffentlich als „nichtstaatlicher feindlicher Geheimdienst“. Dies öffnete die Tür für intensive Überwachungs- und Spionagemaßnahmen gegen WikiLeaks-Mitarbeiter. Doch in der CIA wurden bereits Szenarien diskutiert, welche deutlich weiter gingen: Nach Vermutungen, dass Russland eine Entführung Assanges in die ecuadorianische Botschaft nach Moskau plane, plante die CIA ihrerseits eine Entführung Assanges. Auch Szenarien zur Ermordung Assanges wurden diskutiert.

„Ich bin kein bisschen überrascht, dass die CIA, eine seit langem autoritäre und antidemokratische Institution, Wege gefunden hat, Journalismus zu kriminalisieren und Journalisten auszuspionieren“ – Glenn Greenwald, amerikanischer Journalist

Am 11. April 2019 entzog der neue ecuadorianische Präsident, Lenín Moreno, Assange das Asylrecht. Die Londoner Polizei nahm ihn daraufhin fest. Erklärtes Ziel Morenos war es, die Beziehungen zu Nordamerika und Europa wieder zu verbessern. Auch die 2017 verliehene ecuadorianische Staatsbürgerschaft wurde Assange entzogen, mit Verweis auf formale Fehler.

In der Folge forderten die USA die Überstellung Assanges. Dies geschah auf Grundlage eines bereits 2017 gestellten, geheimgehaltenen Ersuchens. Er wurde der Verschwörung gegen die Regierung angeklagt, gemeinsam mit der im Januar 2017 durch Obama begnadigten Chelsea Manning. Sie war es, die die Daten 2010 an WikiLeaks übermittelte. Assange drohten maximal 5 Jahre Haft. Auch Schweden erwog eine Wiederaufnahme des Auslieferungsersuchens, offiziell, da Assange im Verfahren bezüglich der Sexualvergehen nicht vor einem Richter erschienen war. Ein britischer Haftrichter verurteilte ihn einen Tag später zu 50 Wochen Gefängnisstrafe aufgrund des Verstoßes gegen Kautionsauflagen. Die Verurteilung wurde vom UN-Menschenrechtsrat kritisiert, sie sei „unverhältnismäßig“.

Nach der Amtseinführung Trumps wurde die amerikanische Anklage am 23. Mai 2019 erweitert – nun auch um den Espionage Act. Das Strafmaß erhöhte sich somit auf maximal 175 Jahre Haft. Derweil verschlechterte sich im Hochsicherheitsgefängnis HMP Belmarsh – oft als britische Version Guantanamo Bays bezeichnet – der Gesundheitszustand Assanges.

Bereits am 1. Mai 2019 endete die Haftstrafe Assanges, jedoch war er weiterhin wegen des Auslieferungsverfahrens in die USA inhaftiert. Anträge auf Freilassung wegen des gesundheitlichen Zustands Assanges wurden abgelehnt.

Im Mai 2020 wurde der Auslieferungsprozess fortgesetzt. Die Akustik im Gerichtssaal war dabei so schlecht, dass Assange nach eigenen Angaben Mühe hatte, dem Geschehen zu folgen. Wenn er kommunizieren wollte, musste er dies durch Zeichen zeigen, worauf die Anwälte oft nur durch das Winken der Besucher aufmerksam wurden. Eine Kommunikation mit seinen Anwälten war kaum möglich, dies begründete die Richterin damit, dass dafür ein Antrag auf Freilassung gestellt werden müsse.

Am 25. Juni 2024 wurde Assange auf Kaution aus der Haft entlassen, und verließ anschließend Großbritannien. Seine Freilassung war sowohl ein Ergebnis langer Verhandlungen mit dem US-Justizministerium als auch diplomatischen Druckes Australiens. Im Anschluss flog er auf die pazifische Insel Saipan, wo er sich vor dem US-Bundesgericht der Beschaffung und Weitergabe von militärischen Informationen schuldig bekannte. Der Richterin sagte er: „Ich glaubte, dass der erste Verfassungszusatz diese Tätigkeit schützte, aber ich akzeptiere, dass es ein Verstoß gegen das Spionagegesetz war.“Anschließend flog er in seine Heimat, Australien.

„Ich glaubte, dass der erste Verfassungszusatz diese Tätigkeit schützte.“

Vor knapp einem Monat, am 1. Oktober 2024, erhob Julian Assange vor dem Europarat schwere Vorwürfe gegen die USA und das Vereinigte Königreich. Recht hätte „nur auf dem Papier existiert“. In seiner Rede sagte er dazu: „Gerechtigkeit ist für mich nun ausgeschlossen, da die US-Regierung in ihrer Vereinbarung schriftlich darauf bestand, dass ich keine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einreichen kann, oder auch nur einen Antrag auf Informationsfreiheit über das, was sie mir aufgrund ihres Auslieferungsersuchens angetan hat. Ich möchte mich klar ausdrücken: Ich bin heute nicht frei, weil das System funktioniert hat. Ich bin heute frei, nachdem ich jahrelang inhaftiert war, weil ich mich des Journalismus schuldig bekannt habe“.

Einen Tag später verabschiedete der Europarat mit deutlicher Mehrheit eine Resolution, welche die „abschreckende Wirkung der Verurteilung Assanges auf die Menschenrechte“ unterstreicht. Julian Assange wurde der Status als politischer Gefangener zuerkannt. Die USA wurden aufgefordert, ihre Gesetze zu überarbeiten. Der Espionage Act dürfe nicht auf Journalisten, welche die Öffentlichkeit über schwere Verbechen informieren, angewandt werden. Dem Vereinigten Königreich wurde vorgeworfen, das Recht auf Freiheit und freie Meinungsäußerung missachtet zu haben.

„Es ist gut zu wissen, dass in einer Welt, die oft durch Ideologie und Interessen gespalten ist, ein gemeinsames Engagement für den Schutz grundlegender menschlicher Freiheiten besteht. Die Meinungsfreiheit und alles, was sich daraus ergibt, steht an einem dunklen Scheideweg. Ich fürchte, dass wenn Institutionen […] den Ernst der Lage nicht erkennen, es zu spät sein wird. Lassen Sie uns alle unseren Teil dazu beitragen, dass das Licht der Freiheit niemals erlischt, dass das Streben nach Wahrheiten weiterlebt und dass die Stimme der Vielen nicht durch die Interessen der Wenigen zum Schweigen gebracht wird“ – Julian Assange

Quellen:

https://www.forbes.com/sites/andygreenberg/2012/09/14/an-excerpt-from-this-machine-kills-secrets-the-education-of-julian-assange

https://de.wikipedia.org/wiki/Julian_Assang

https://de.wikipedia.org/wiki/WikiLeaks

https://www.yahoo.com/news/kidnapping-assassination-and-a-london-shoot-out-inside-the-ci-as-secret-war-plans-against-wiki-leaks-090057786.html

https://wikileaks.org/What-is-WikiLeaks.html

https://www.zeit.de/digital/internet/2009-09/wikileaks-wahrnehmung

https://www.newyorker.com/magazine/2010/06/07/no-secrets?currentPage=all

https://en.wikipedia.org/wiki/July_12,_2007,_Baghdad_airstrike#Leaked_video_footage

https://collateralmurder.wikileaks.org

https://www.spiegel.de/politik/ausland/wikileaks-gruender-assange-attackiert-rechte-us-kritiker-a-736300.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Espionage_Act

https://www.huffpost.com/entry/fox-news-bob-beckel-calls_n_793467

https://slate.com/technology/2013/08/sigurdur-thordarson-icelandic-wikileaks-volunteer-turned-fbi-informant.html

https://www.sueddeutsche.de/politik/streit-um-julian-assange-schweden-keine-auslieferung-bei-todesstrafe-1.1446067

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/grossbritannien-gegen-ausreise-ecuador-gewaehrt-politisch-verfolgtem-assange-asyl-11857886.html

https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/julian-assange-befragung-in-der-ecuadorianischen-botschaft-in-london-a-1121194.html

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/vault-7-40-jahre-haft-fuer-verrat-von-cia-hackersoftware-19491278.html

https://www.eldiario.es/internacional/autoridades-julian-assange-ecuador-londres_1_1158077.html

https://martinsonneborn.de/free-assange/

https://www.reuters.com/world/us/wikileaks-assange-expected-plead-guilty-us-espionage-charge-document-says-2024-06-24

https://www.spiegel.de/ausland/julian-assange-wikileaks-gruender-bekennt-sich-vor-us-gericht-schuldig-und-wird-freigelassen-a-12a01eb0-843a-411f-8012-aa10dc7ff87

Ein Gedanke zu „Julian Assange: Die Grenzen des Journalismus“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert