Rhabarberschorle

Rhabarberschorle

22.34 Uhr die Bahn kommt schon wieder zu spät, meine Fresse! Wie mich diese müde Stadt fertigmacht. Verzweifelt und schlecht gelaunt stehe ich an der Haltestelle und schaue mir all die besoffenen Leute an, die unter dem warmen Licht der Straßenlaternen schaukelnd zum Späti schwanken. Ich hebe meinen Blick auf die im Gegensatz schrecklich grell strahlende Anzeigetafel über mir. Noch 12 Minuten, bis die Bahn kommt. Ich starre rüber zum Späti. Schaff ich noch!

Ich springe von der Haltestellenbank und strebe über die Straße zum bunt erleuchteten Gewirr. Ich drängle mich an den blauen Leuten durch eine Wolke aus Rauch und bunten Lichtern vorbei. Der Geruch von Wodka, Tabak und Gras bohrt sich in meine Nase. Die lachenden Gesichter um mich herum zaubern mir irgendwie ein Lächeln ins Gesicht. Ich glaube, sie wollen den ganzen Scheiß der Woche in Alkohol ertränken und naja, wer kann es ihnen verübeln?

Ich stapfe die drei Stufen zum Eingang hinauf und drehe mich direkt rechts zum Kühlfach. Mit etwas Mühe suche ich die Rhabarberschorle, die in der Regel immer ganz unten steht. Ich bücke mich nach unten und greife die Flasche von ganz hinten, die ist irgendwie immer am kühlsten. Der müde Kassierer schaut mich mit leerem Blick an. Ich glaube, er will auch einfach nur nach Hause und sich nach der Schicht schlafen legen. Mit einem aufgesetzten Lächeln drücke ich ihm einen 5er in die Hand. Das Kleingeld, welches er mir mit schlapper Hand zurückgibt, wandert mit einem leichten Klimpern direkt in meine Hosentasche. Auf dem Weg zur Haltestelle öffne ich mit erfrorenen Händen die kalte Flasche und nehme einen Schluck.

Der Geschmack, die Kälte und der leichte Schmerz im Hals durch das starke Prickeln geben mir irgendwie ein Gefühl von Wärme, denn plötzlich sehe ich dein Grinsen vor mir.

Nach dem Anstoßen quatschten wir stundenlang mit der kalten Flasche in der Hand. Wir redeten über belanglose Dinge und mit dir verschwommen all die Probleme um mich herum wie Wasserfarbe. Die Hälfte des Getränks hast du stets ausgespuckt, weil Lachen und Trinken in Kombination eher schwierig ist. Die leeren Pfandflaschen landeten neben dem Mülleimer, damit auch die Pfandsammler etwas haben, was sie zum Grinsen bringt.

Nach jedem Abend mit dir ist da noch dieser Geschmack, diese Kälte, dieses Prickeln. Ich liebe alles daran. Immer wenn ich eine Rhabarberschorle in der Hand halte, denk ich an dich und bin glücklich.

Genauso wie heute Abend um 22.46 Uhr. Die Bahn kommt.

2 Gedanken zu „Rhabarberschorle

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert