Ein Essay

Was ist das Gegenteil von Arbeit? Man vermag so etwas zu antworten wie „Freizeit“. Doch wie gegenteilig sind die beiden wirklich?

Was ist Freizeit eigentlich? Freizeit ist, das ist wohl Konsens in der Gesellschaft, die Zeit außerhalb der Arbeitszeit. Allgemein soll sie „arbeitsfrei“ sein. Ziehen wir mal ein Beispiel heran. Ich gehe ab 7.50 Uhr zur Schule, was man allgemein als die Arbeit der Jüngeren ansehen könnte. Die Schule endet um 15.15 Uhr und hat dazwischen drei Hofpausen, die sich zu einer Stunde aufaddieren lassen. Danach habe ich Freizeit, mag man meinen. Mit meiner Ankunft zuhause gehe ich einem meiner Hobbys nach und schneide ein Video. Im Anschluss bereite ich einen Vortrag vor und erledige die Hausaufgaben. Wohlgemerkt steckt in dieser Freizeit erstaunlich viel mühsames zielgerichtetes Schaffen. Das Schneiden eines Videos an sich unternehme ich auch nicht, weil es so entspannt oder spaßig ist, sondern um andere und mich selber an dem Produkt zu erfreuen. Gensauso ist es mit Hausaufgaben. Man erledigt sie nicht des Spaßes wegen, sondern sie sind auf Produktivität gerichtet. Diesem Bilde entsprechend läuft der Tag von Schülern ab. Schon im frühen Alter wird uns gelehrt, tagein, tagaus produktiv zu sein. Die Schule, für viele ein lästiger Teil im Leben, ist nicht nur eine geistige Bildungsinstituition, wie es uns vermittelt wird, sie dient auch der psychologischen Anpassung unseres Denkens, damit wir in die Gesellschaft passen. Niemand hat Lust auf die Arbeit in der Schule, also werden wir mit Wissen überschüttet, bis wir kaum noch Luft kriegen und in eine weitere Welt des zielgerichteten Schaffens, verpackt als Freizeit-Paradies, abtauchen.

Wer doch Lust auf Schule hat, ist gewillt, sich direkt der unverblümten Arbeitswelt zu unterwerfen. Jedem wird eine Wahl suggeriert, wie er seine Zeit nutzen möchte. Die einzige Wahl ist jedoch die wissentliche oder unwissentliche Selbstversklavung. Ironischerweise sagen viele Lehrer: „In der Schule lernt ihr für das Leben“, was viele Schüler als Haltung ablehnen und sich dessen verweigern. Tatsächlich wird dieser Satz aber häufig bloß missinterpretiert, denn nicht das Wissen lernt man für das Leben, sondern wie man selber unwissentlich zielgerichtet schafft.

Doch die Schule ist nur eine Vorbereitung und Vorform der geballten Grausamkeit des ausgereiften Arbeiterlebens.

Nun steht eine der „wichtigsten Entscheidungen des Lebens“ bevor: die Berufswahl. Die Wahl, was man als Sklave seiner selbst genau machen möchte. Tatsächlich besteht hier eine gewisse Freiheit, sich seinen Bereich auszusuchen. Die Wahl, ob man überhaupt Knecht sein will, ist hierbei aber schon längst hinfällig. Die Gesellschaft zwängt einem die Arbeit auf. Sollte man sich weigern oder keine passende Arbeit finden, wird man „arbeitslos“. Arbeitslosigkeit ist, ganz genau betrachtet, eigentlich das, wofür ich gerade argumentiere, vermag man zu meinen. Das stimmt aber so nicht. Die Arbeitslosigkeit ist ein Gefängnis, aus dem man nur ganz schwer entkommt. Man hat im Alltag nichts zu tun, ist nur ein denkendes, atmendes Etwas, kaum akzeptiert in der Gesellschaft, ist schließlich faul und nimmt Geld aus dem System. Der absolute Angstzustand. Deswegen versklaven sich die Leute lieber. Vergleichbar ist das paradoxerweise mit dem Mittelalter, denn dort haben sich die Leute auch, vereinfacht gesagt, ihrer Taten nicht bewusst, dem System versklavt. An der Spitze des Systems der jeweilige Herrscher – heutzutage die Arbeit.

Was wir glaubten, mit der Demokratie abgeschafft zu haben, ist ein großer Teil unseres Lebens geworden: Knechtschaft.

Ein ganz typisches Beispiel für diese unterbewusste Knechtschaft ist tatsächlich mein Vater. Geschäft 1 hier, Nr. 2 da, noch ein Ehrenamt und so weiter…mehr zielgerichtetes Schaffen als das geht kaum noch. Oft gestresst, genervt und immer was zu tun. Beim Lesen des ersten Teils dieses Essays meinte er doch tatsächlich: „Ich mag meine Arbeit doch. Und, was jetzt?“ Womit er erwartete, diese Argumentation auszuhebeln, hat er sie doch nur bestärtkt. Genau das zeigt doch, dass er dieses Unterbewusstsein für die Knechtschaft schon so in sich trägt, dass er es beginnt, zu mögen.

„Dann sollen wir alle mit der Arbeit aufhören, oder was?“ Nein, solch radikale Gedanken verfolge ich sicherlich nicht. Dieser Essay soll keineswegs als Aufruf zur Arbeitsniederlegung verstanden werden. Wenn jeder seine Arbeit niederlegen würde, würde keiner von uns überleben können. Das ist nicht mein Gedanke, sondern kompletter Blödsinn.

Jeder, der das gerade liest, ist ein Sklave. Zwar ein Sklave seiner selbst und auch in gewissem Maß der Gesellschaft, aber ein Sklave. Der Philosoph Hegel meinte einst, dass Sklaven Freiheit dadurch erlangen, dass sie den Halter von sich abhängig machen. Das trifft auf unsere Beziehung mit dem Lebensstil, dem System, fast zu. Das Überleben ist davon abhängig, ob wir als Sklaven arbeiten, weswegen wir es ja auch tun. Gleichzeitig ist das Überleben bzw. der Bestand des Systems abhängig davon, dass wir uns versklaven.

Bedeutet: In unserer Lebensform ist die pure Freiheit kein Zustand im Bereich des Möglichen, da wir uns versklaven müssen, um überhaupt zu überleben.

Worauf ich eigentlich hinaus will, ist, dass, so grausam es auch ist, die Versklavung unserer Selbst und damit die Arbeit überlebensnotwendig ist. Was daran jedoch störend ist, ist die zunehmende Identifikation mit der Arbeit und dass sich die allermeisten Menschen der Selbstversklavung nicht bewusst sind.

Deswegen: Versucht, liebe Leser, es euch bitte bewusst zu machen, und nehmt euch Zeit, mal nicht produktiv zu sein, mal nichts zu schaffen, ja nahezu faul zu sein und einfach mal für ein paar Minuten zu denken. Nichts anderes tun. Nur denken. Worüber ist euch überlassen. Ihr habt mein Wort, diese Freizeitgestaltung ist äußerst gesund und abwechslungsreich. Das ist wahrlich Freizeit.

Damit ist meine Arbeit getan.

Von Matti

Ein Gedanke zu „Gegensätze ziehen sich an – Über Arbeit und Freizeit“
  1. Manchmal ist es wichtig wirklich *nichts* zu tun. Also einfach hinlegen und gar nichts tuen, nicht nachdenken, nicht überlegen, was noch zu tun ist. Sich kurz aus der Selbst-Sklaverei befreien. Und wenn es nur 10 Minuten sind; ich mache das immer nach der Schule! Sehr erholsam
    Schöner Essay!

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