Blendendes Weiß und ein stechender Alkoholgeruch, der sich in meine Nase brennt und mich den ganzen Tag begleiten wird. Bereits im Flur begrüßten mich die Gesichter grimmiger Rentner, die ihre frühen Morgenstunden für einen Praxisbesuch opfern. Das Schreien eines Babys hallt durch das 3-stöckige Haus. Auf mein höfliches Grüßen werden mir genervte Blicke zugeworfen. In der Praxis ist es noch leer. Nur ein paar müde Schwestern kommen mir wie schlaftrunkene Zombies mit ihren Kaffeetassen entgegen getrottet. 

So ungefähr sah jeder meiner Morgende in der Zeit des 01.05.23 bis zum 12.05.23 aus. Dass ich mein Praktikum in einer Hautarztpraxis absolvierte, war tatsächlich eine relativ spontane Entscheidung. Die führende Ärztin der Praxis, Frau Dr. Kristina Här, ist eine Bekannte von mir und hat mir schon öfter einen Praktikumsplatz vorgeschlagen. Ich sehe es eigentlich etwas kritisch, sein Praktikum bei Bekannten zu absolvieren, denn es verfälscht den Sinn eines Praktikums: Ein realistischer Einblick in das Arbeitsleben.

Meine Erwartungen an das Praktikum waren vielfältig. Einerseits interessiert mich der medizinische Aspekt des Berufes: Wie sehen bestimmte Hautkrankheiten aus? Was sind Symptome, Behandlungsansätze, etc. Andererseits stellte das Praktikum auch eine persönliche Herausforderung für mich dar. Der soziale Umgang mit Menschen ist ein Aspekt des Berufes, den ich ausgeblendet oder vielleicht sogar ein bisschen verdrängt habe.

Entsprechend spannend war es für mich, diesen live miterleben zu dürfen. Frau Dr. Här und ihre Mitarbeiterinnen waren zwar immer höflich, aber trotzdem bestimmend. Es herrschte eine ganz klare Ordnung in der Praxis: Frau Dr. Här ist die Chefin und ihre Mitarbeiterinnen haben ihren Forderungen nachzukommen. Gewöhnungsbedürftig war für mich, dass es als Mitarbeiterin/Praktikantin auch Teil meiner Aufgabe ist, Regeln durchzusetzen. Neben einem freundlichen Auftreten sollte auch ein Regelbruch klar kommuniziert werden.

Einer älteren Person zu erklären, dass diese im Hausflur zu warten hat, bis das Anmeldungszimmer frei ist, kann sehr anstrengend sein. Besonders wenn besagte Person Hörprobleme hat. Und da bin ich auch schon bei meiner nächsten Herausforderung: lautes Sprechen. Frau Dr. Här musste ihre Patient*innen teilweise anschreien, um eine Reaktion zu erhalten.

"Sie dürfen dann schon einmal im OP-Zimmer platznehmen. Für die Behandlung müssen Sie sich ausziehen, Ihre Kleidung können Sie dort auf dem Stuhl ablegen. 
Bitte denken Sie auch an Schmuck und Haargummis."

Täglich war es Teil meiner Aufgabe, die Patienten in den OP zu führen und auf ihre Hautkrebsvorsorge vorzubereiten. Ob die erste oder schon die fünfte Vorsorge – der Ablauf ist immer gleich: Der Patient platziert sich auf der Behandlungsliege und Frau Dr. Här untersucht den gesamten Körper. Dabei achtet sie auf Leberflecke, welche auffällig erscheinen.

Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung haben alle Krankenversicherten ab 35 Jahren den gesetzlichen Anspruch alle 2 Jahre eine kostenlose Hautkrebsvorsorge bei einem Hautarzt durchführen zu lassen. Je nach Krankenkasse kann diese Leistung auch schon vor 35 kostenlos wahrgenommen werden.

Während meiner Praktikumszeit durfte ich jede Kollegin bei ihren Arbeitsschritten begleiten – am Empfang, beim Säubern, bei der Buchführung, aber auch bei Operationen mit der Chefärtztin. Diese stellten natürlich den für mich spannendsten Arbeitsteil dar. Dabei lassen sich die Operationen in zwei grobe Gruppen unterteilen: in ästhetische Eingriffe und Eingriffe, die aufgrund von gesundheitlichen Beschwerden durchgeführt werden. Die in der Praxis angebotenen Schönheitseingriffe sind allerdings nur oberflächlich, wie z. B. Alterswarzenentfernungen oder auch die Entfernung von gesundheitsunschädlichen Muttermalen.

Laut Verbraucherzentrale sind individuelle Gesundheitsleistungen kein festgeschriebener Teil der gesetzlichen Krankenkasse. Die zutragenden Kosten müssen in den meisten Fällen somit privat finanziert werden.

Frau Müller erhebt sich von der schmalen Behandlungsliege und setzt sich unter angestrengtem Stöhnen auf. Die Arbeitsfläche vor Frau Dr. Här zeigt ein kleines chaotisches Stillleben: Op-Besteck, Verpackungsmüll, Pflaster, Mulltücher und ein kleines Plasikgefäß, in welchem friedlich vor sich hin ein 5mm breites Stückchen Haut schwimmt. Die Schwestern wuseln wie aufgeregte Ameisen im engen OP-Raum herum und beginnen mit dem Aufräumen der Utensilien. Frau Müllers Stirn ist mit einem rundlichen, weißen Pflaster beschmückt. Trotzdessen lächelt sie nun ihrem Spiegelbild freudig entgegen. Zur Chefärztin gerichtet, verkündet sie: "Jetzt kann ich mich endlich auf meine Hochzeitfotos freuen."

Entnommene Hautgewebe können direkt in der Praxis oder in externen Laboren untersucht werden und zum Beispiele auf bestimmte Pilze untersucht werden. Bei ästhetischen Eingriffen findet die Untersuchung nur auf Wunsch der Patient*innen statt.

Ein Pokerface, wie Lady Gaga es besingt, ist in einer Hautarztpraxis der Schlüssel: egal, was du gerade vor dir siehst, du hast die Haltung zu bewahren und höflich zu lächeln. Mir ist natürlich bewusst, dass auch bei anderen Jobs der Kunde mit Respekt zu behandeln ist, allerdings ist es in einer Praxis wesentlich schwieriger, Haltung zu bewahren. Ich möchte jetzt nicht zu genau ins Detail gehen, wie die Hautbilder der Patienten aussahen. Überraschenderweise hatte ich dahingehend keine Probleme, weder Blut, noch unangenehme Gerüche waren für mich so qualvoll, dass dies meinem Gesicht abzulesen war.

Jeder Hautarzt (Dermatologe) ist für die Behandlung von Haut- und Geschlechtskrankheiten zuständig.

"Soll ich mich jetzt komplett ausziehen? Also auch untenrum?"

Dass Patienten es zu Beginn unangenehm sein kann, sich nackt vor einer ihnen fremden Person zu zeigen, ist normal und verständlich. Wichtig ist dabei im Hinterkopf zu behalten, dass es sich bei den Untersuchungen um die tägliche Arbeit des oder der Ärztin handelt.

Ich sprach zu Beginn meines Praktikums ausführlich mit Frau Dr. Här über diese Thematik und wir verständigten uns darauf, dass ich bei Untersuchungen der Geschlechtsorgane nur mit Zustimmung des behandelten Patienten teilnehmen werde.

Fazit:

Ich bin unglaublich dankbar, einen so realistischen Einblick in den Praxis-Alltag bekommen zu haben. Für mich war das Praktikum eine Bestätigung, später mal in die medizinische Richtung zu gehen. Operationen und Untersuchungen waren für mich sehr spannend zu begleiten und jeder Tag bot mir die Möglichkeit, aufs Neue meine Grenzen auszutesten. Besonders im Hinblick auf den Fachkräftemangel in Deutschland ziehe ich den Beruf der Ärztin als einen zukunftssicheren Beruf in Erwägung. Spannend wäre für mich ein Vergleich mit dem Alltag in einem Krankenhaus.

Die Schlange wird immer kleiner und die Gesichter der Schwestern immer heiterer. Die Feierabendstimmung liegt in der Luft und übertrumpft den Alkoholgeruch. Mit Desinfektionsspray bewaffnet, ziehe ich durch jeden der Räume, sortiere das OP-Besteck ein. 
Der Wäschekorb füllt sich mit weißen Hemden...Klick...Die Praxistür fällt ins Schloss, der silberne Schlüssel dreht sich zweimal.

Von Henriette

2 Gedanken zu „Der schmale Schnitt zwischen Eitelkeit und Notwendigkeit“

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