Willkommen im Hotel Erde – Ist der Mensch Gast oder Gastgeber

Willkommen im Hotel Erde – Ist der Mensch Gast oder Gastgeber

Ein Essay von Mathilda

Angesichts weitreichender menschengemachter Zerstörung des einzigen uns bekannten Planeten, auf dem intelligentes Leben existiert, drängt sich mir der Eindruck auf, der Mensch benehme sich, als sei er auf dieser Erde im Urlaub. Von allen Sorgen und aller Verantwortung befreit, kümmert er sich nicht um dringende Probleme. Es schert ihn nicht, in welchem Zustand er sein Hotelzimmer hinterlässt, irgendwer anders wird es aufräumen. ist es ihm nicht peinlich, dass er grölend und betrunken durch die Straßen seines Urlaubsortes wankt und die Einheimischen belästigt, nennt er das gar sein Recht und seinen Genuss? Er sieht es als unvermeidlich und notwendig an, dass der Ort mehr und mehr von seinen bestaunenswerten Eigenschaften einbüßt, dass seine übrigen Bewohner unter Wohnungsmangel, Lärm und Müll leiden, dass er immer stärker auf den Zweck, ihn zu bewirten, ausgerichtet ist.

Es ist notwendig, dieses Verhältnis, das wir zu unserem Planeten haben, zu ändern, wenn wir wollen, dass unsere Spezies weiter existiert, dass alle ihre Mitglieder ein würdiges und erfülltest Leben haben, und dass andere Lebewesen ebenfalls eine Zukunft haben. (Eine utopische Vorstellung – ich weiß.) Wir könnten der Erde bessere Gäste sein als ein*e rücksichtslose Tourist*in. Oder vielleicht sollen wir ihr überhaupt keine Gäste sein, sondern verantwortungsbewusste Gastgeber?

Was zeichnet einen Gast aus und was spricht dafür, dass der Mensch einer ist? Wenn ich hier vom Menschen als Gast schreibe, meine ich die gesamte Menschheit und mit ihrem Gastgeber die Erde und alles Nichtmenschliche und nicht von Menschen Geschaffene, was darauf existiert, lebendig oder nicht. Im Zusammenhang mit Gästen und Gastgebern fällt außerdem ein weiterer Begriff, der eine Definition erfordert: der Begriff der Gastfreundschaft. Das ist eine Bereitschaft, Gäste aufzunehmen und sie als solchen angemessen zu behandeln.

Zunächst einmal gibt es die geflügelte Wendung „der Gast ist König“. In dieser Eigenschaft hat der Gast Anspruch auf Privilegien, zum Beispiel auf Bedienung oder darauf, sich nicht um den Haushalt kümmern zu müssen. Natürlich kann der Mensch nicht erwarten, von der Erde wortwörtlich bedient zu werden, etwa indem ihm Tiere bereitwillig das Abendessen servieren. Aber er kann sich aus diesen Privilegien des Gastes beispielsweise das Recht ableiten, die natürlichen Ressourcen zu nutzen, was er ja auch tut.

Mit Rechten gehen normalerweise Pflichten einher, und das gilt auch für den Gast. Er hat die Pflicht, sich an die Regeln, die ihm die Gastgeber auferlegen oder die in ihrem Haushalt gelten, zu halten. Geht er in ein Hotel, so muss er für das Zimmer bezahlen und darf nach zehn Uhr abends keinen Lärm mehr machen. Lässt er sich in der Wohnung einer befreundeten Familie bewirten, so soll er sein Kommen bitte rechtzeitig ankündigen, die Schuhe im Treppenhaut ausziehen und zum Rauchen auf den Balkon gehen. In jedem Fall unabdingbar: den Gastgebern mit Respekt und Höflichkeit zu begegnen. Unterlässt der Gast dies und strapaziert die Gastfreundschaft seiner Gastgeber zu sehr, so muss er damit rechnen, des Hauses verwiesen zu werden. Im Falle unseres Planeten sind die Regeln, an die wir uns zu halten haben, für viele Menschen unklar, die Erde kommuniziert schließlich nicht direkt. Die klarsten Aussagen machen das noch die Wissenschaftler*innen, deren Job ist es schließlich, herauszufinden, wie a) die Welt funktioniert und b) der Mensch effektiver funktionieren kann, basierend aus den Erkenntnissen aus a). Aber wenn sie dann solche Naturgsetze raushauen wie: „In einem geschlossenen System steigt die Entropie stetig“, wie soll man daraus nur Benimmregeln ableiten?

canva

Wie ein möglicher Hausverweis aussehen könnte, damit beschäftigt sich ein beträchtlicher Teil eines kulturellen Genres. Die Ideen reichen von der Emigration auf andere Planeten bis hin zum Aussterben der Menschheit, mit allen möglichen Szenarien und in allen erdenklichen Varianten.

Aus der Tatsache, dass der Gastgeber herausgeworfen werden kann, folgt, dass er auf das Wohlwollen des Gastgebers und dessen Bereitschaft, seine Ressourcen zu teilen, angewiesen ist. Ider der Gastgeber nicht willens, ihn zu bewirten, ist der Gast kein Gast mehr, sondern ein Eindringling. Wird er fortgeschickt, dann muss er im besten Fall nach Hause gehen, im für den abgewiesenen Gast ungünstigigeren Fall steht er, wenigstens temporär, ohne Bleibe da. Nicht nur die Gastfreundschaft des Gastgebers bestimmt, ob der Gast bleiben darf, sondern auch dessen Ressourcen, beispielsweise Platz, Zeit und ein gefüllter Kühlschrank. Aus diesen Gründen ist der Gast von seinen Gastgebern abhängig.

Wir brauchen die Erde, ohne sie wäre die Existenz der Menschheit, wie sie gerade ist, nicht möglich. Wir sind auf einen Platz angewiesen, den wir bewohnen können, wir brauchen eine Atmosphäre, die wir atmen können, wir benötigen Böden, auf denen wir Nahrungsmittel anbauen, eine stetige Versorgung mit Wasser, aber nicht soviel, dass wir darin versinken, und so weiter. Während der Planet uns mangels Persönlichkeit nicht ausladen kann, so kann er doch durch unsere Übernutzung von Ressourcen in die Situation gebraucht werden, uns gar nicht mehr bewirten zu können.

Letztendlich ist der Aufenthalt des Gastes nur von begrenzter Dauer. Irgendwann wird der Gast wieder gegangen sein, und dann geht das Leben derjenigen, die ihm Gastfreundschaft erwiesen haben, völlig normal weiter. Die Anwesenheit des Gastes ist im Idealfall erfreulich, aber nicht notwendig. Nach seiner Abreise bleiben Erinnerungen zurück, tiefgreifende Veränderungen erfährt der Alltag der Gastgeber in der Regel jedoch nicht.

Der Mensch hat in der erdgeschichtlich kurzen Zeit seines Wirkens grundlegende Abläufe auf dem Planeten Erde verändert: Ganze Landschaften hat er umgestaltet, Stoffkreisläufe verändert und neue Stoffe geschaffen, die seine Lebensspanne überdauern, er hat den Klimawandel herbeigeführt, Arten ausgerottet und andere über weite Reile der Welt verbreitet. Die Veränderungen sind so gravierend, dass die Wissenschaft inzwischen vom ergeschichtlichen Zeitalter des Anthropozäns spricht, das sich durch den Menschen als das die Welt gestaltende Element auszeichnet. Diese Veränderungen umzukehren, ist teils gar nicht, teils nur mit immensem Aufwand möglich. Sollten wir vom einen auf den anderen Tag verschwinden, die Erde würde trotzdem nicht mehr dieselbe sein wie zuvor. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass es Ziel und Sinn der meisten Menschen ist, wenn die Menschheit auf diesem Planeten, oder wenigstens in diesem Universum verbleibt.

Zwei wesentliche Merkmale des Gastseins erfüllt der Mensch also nicht: Er ist nicht gewillt, seinen Aufenhalt auf der Erde als etwas Begrenztes zu sehen und er ist über den Punkt hinaus, den Alltag seiner Gastgeber nicht nachhaltig zu beeinflussen.

Demgegenüber stehen die Tatsachen, dass er von der Erde abhängig ist und dass die Möglichkeit besteht, dass er durch Ausbeutung des Planeten selbst von der Erde verschwindet. Dazu kommt das Privileg des Gastes, dass sich als Recht, natürliche Ressourcen zu nutzen, deuten lässt.

Kehren wir den Gedankengang nun um und betrachten den Menschen als Gastgeber und die Erde und alle darauf existierenden nicht menschlichen Dinge und Wesen als seine Gäste. Wäre ein solches Szenario stimmig? Könnte es Probleme, die im Verhältnis von Mensch und Erde bestehen, lösen?

Ein Gastgeber hat eine Verantwortung gegenüber seinen Gästen. Er muss ihnen eine angemessene Unterkunft und die zuvor genannten Privilegien des Gastes gewähren, kurzum: sich um sie kümmern. Der Mensch als Gastgeber der Erde hätte also die Pflicht, für sie zu sorgen. Wenn der Mensch es als seine Aufgabe sähe, Verantwortung für das Nichtmenschliche zu übernehmen, und dies mit Sachverstand und Geschick täte, dann wäre das eine gute Voraussetzung dafür, die ökologischen Krisen unserer Zeit zu lösen. Menschen, die die Bereitschaft zeigen, sich für Umwelt- und Naturschutz einzusetzen, gibt es: Bei einer repräsentativen Umfrage des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz und des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2022 gaben 17 Prozent an, sich im Umwelt- und Naturschutz aktiv zu engagieren. Damit mehr Menschen der Erde auf diese oder ähnliche Weise Gastgeber würden, müsste ein Weg gefunden werden, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie eine Verantwortung gegenüber der Welt haben.

Der Gastgeber hat also eine Verantwortung, aber er ist auch in der Machtposition, denn ihm gehört das Haus, die Wohnung oder das Hotel. Er darf die Regeln bestimmen, an die sich die Gäste zu halten haben, bis zu einem gewissen Punkt muss er es sogar tun, wenn er selbst seinen Bedürfnissen angemessen in seiner Behausung leben will.

Dass der Mensch Macht über den Planeten hat, ist angesichts der bereits beschriebenen Veränderungen, die er an der Erde vorgenommen hat, nicht zu leugnen. Gewissermaßen gibt der Mensch Regeln vor: Indem er Land für seine Siedlungen nutzt, bestimmt er, wie eine Landschaft auszusehen hat, damit er darin und davon leben kann, er gibt Nutzpflanzen und -tieren durch Zucht vor, wie sie zu sein haben. Dennoch ist der Mensch keineswegs mächtiger als die Natur. Er braucht sie, um zu überleben und er ist ihren Bedingungen, seien es nun das Klima, die tektonischen Gegebenheiten oder Seuchen, immerzu ausgeliefert und muss sich an sie anpassen.

Dieses Nebeneinander von Macht und Abhängigkeit spricht für den Menschen als Gastgeber. Der Gast hat die Macht in Form von Privilegien, und ist dennoch vom Wohlwollen des Gastgebers abhängig. Der Gastgeber dagegen ist niemals auf den Gast angewiesen (es sei denn, er arbeitet im Gastgewerbe).

Dem Gast wird, wie zuvor beschrieben, nur dann Gastfreundschaft gewährt, wenn der Gastgeber dazu willens und in der Lage ist. Das bedeutet für den Gastgeber, dass er die Möglichkeit hat, den Gast abhängig von seinem Willen und seinen Ressourcen abzuweisen. Dabei tritt ein Problem auf: Denen, die etwas tun wollen, mangelt es häufig an Ressourcen dafür, wohingegen die, die Ressourcen, in erster Linie Geld, im Überfluss haben, oft nichts tun. Unserem Planeten Gastfreundschaft erweisen, durch sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen, durch Forschung darüber, wie Insekten am besten vor dem Aussterben gerettet werden können, durch umweltschonende Produktion und durch die Finanzierung von alledem, kann nur, wer das auch tun möchte und über die dafür benötigte Menge an Zeit und Geld verfügt.

Schuld daran, dass der Wille, zum Umweltschutz beizutragen, und die nötigen Ressourcen selten zusammenkommen, ist eine Wirtschaftsordnung, die egoistisches Verhalten belohnt, sodass diejenigen, die am wenigsten bereit sind, im Sinne Anderer zu handeln, über die meisten Ressourcen verfügen. Der Kapitalismus steht also unserer Gastfreundschaft gegenüber dem Nichtmenschlichen im Wege.
Entspricht der Kapitalismus der Natur des Menschen? Das ist eine Frage, die ich hier nicht beantworten kann. Aufwerfen möchte ich sie trotzdem, weil sie nicht nur in Bezug auf den Umgang mit unserem Planeten, sondern auch bezogen auf unseren Umgang untereinander wichtig ist.

Halten wir also fest:
Eine Verantwortung gegenüber der Natur, die der Verantwortung eines Gastgebers für seine Gäste gleichkommt, ist der Verbesserung der Zustände auf der Erde förderlich. Das spricht dafür, dass der Mensch ein Gastgeber sein sollte. Allerdings verhindert unsere momentane Wirtschaftsordnung, dass wir dieser Aufgabe nachkommen können. Zwar sind Wirtschaftsordnungen nicht in Stein gemeißelt, aber bis wir dem Planeten Gastfreundschaft erweisen können, wird es ein langer Weg sein. Zudem bezieht die Bezeichnung des Menschen als Gastgeber zwar mit ein, dass wir Macht über diesen Planeten haben, verkennt aber die Tatsache, dass wir die Erde zwingend benötigen.

In der Rolle des Gastes findet sich der Mensch hingegen leichter wieder, aus folgenden Gründen: Der Mensch ist auf die Erde angewiesen, es ist möglich, wenn auch nicht von ihm erwünscht, dass er von ihr verschwindet und er tut gut daran, bei seinem Handeln natürliche Gesetzmäßigkeiten nicht zu ignorieren, da es sonst zum Scheitern verurteilt ist. Seine Fähigkeit, die Erde zu verändern und natürliche Ressourcen für sich zu nutzen, spiegelt sich in den mit dem Gast-Sein assoziierten Privilegien wider. Da der Mensch sich zu wenig an die Regeln, die die der Gastgeber Erde festgelegt hat, hält und damit ihre Gastfreundschaft überstrapaziert, ist er zunehmend zum Touristen verkommen, mit desaströsen Folgen für alle anderen Lebewesen und letztendlich auch sich selbst. Was tun? Zunächst einmal könnte man auf die zahlreichen Wissenschaftler*innen hören, die wenigstens in einigen sehr wichtigen Bereichen zu einem Konsens gelangt sind. Auf ihre Erkenntnisse geht folgendes Schild zurück, das im Eingangsbereich der Jugendherberge Erde hängen könnte:

Verehrte Gäst*innen,
Um Ihnen ein angenehmes Dasein zu ermöglichen, bitten wir Sie, folgendes zu beachten:

Unsere Ressourcen sind begrenzt. Mehr Rohstoffe und Energie, als vorhanden sind, bekommen
Sie nicht.

Um durch Ihre Anwesenheit entstehende Unordnungen zu entsorgen, ist Energie nötig, die Sie
selbst aufbringen müssen. Daher müssen Sie Ihre Lebensräume selbst instand halten. Vermeiden Sie
Abfälle. Falls welche entstehen sollten, entsorgen Sie diese.

Sie sind nicht die einzigen Gästinnen, und auch nicht die letzten. Gehen Sie respektvoll mit den anderen Gästinnen um. Nehmen Sie nur soviel Platz und Rohstoffe für sich, dass allen genug zur
angemessenen Befriedigung ihrer Bedürfnisse bleibt. Sie werden selbst von der Existenz anderer
Lebewesen profitieren.

Zuwiderhandlungen können mit Aussterben bestraft werden.

Genießen Sie Ihr Leben!

Quellen:

Zalasiewicz, Jan/Rosol, Christoph: Wird der Mensch einem Erdezeitalter seinem Namen geben? Gespräch mit Geologen Jan Zalasiewicz, auf der Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung. https://www.bpb.de/themen/umwelt/anthropozaen/216916/wird-der-mensch-einem-erdzeitalter-seinen-namen-geben/

Grothmann, Thorsten / Frick, Vivian / Harnisch, Richard / Münsch, Marlene / Kettner, Sara Elisa / Thorun, Christian: Umweltbewusstsein in Deutschland 2022. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz 2023, S. 61.

Bildquelle: canva

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